Jakob - der betrogene Betrüger


Da z.Zt. gerade die Berliner Gemäldegalerie wieder geöffnet ist, möchte ich Ihnen ein Bild vorstellen, welches Sie sich selber vor Ort ansehen können: „Esau verkauft sein Erstgeburtsrecht“ des Utrechter Caravaggisten Matthias Stomer.
Um das Dargestellte zu verstehen, muss man sich tief in die Patriarchengeschichte des 1. Buches Mose (Genesis) begeben. Dort wird in 1. Mos. 25 nicht nur die verhängnisvolle Geschichte mit dem Linsengericht erzählt, sondern zuerst auch die erklärende Vorgeschichte, die Unterschiede zwischen den Zwillings-Brüdern und die Konkurrenz um die Liebe der Eltern.

20 Isaak aber war vierzig Jahre alt, als er Rebekka zur Frau nahm, die Tochter Betuëls, des Aramäers aus Mesopotamien, die Schwester des Aramäers Laban.
21 Isaak aber bat den HERRN für seine Frau, denn sie war unfruchtbar. Und der HERR ließ sich erbitten, und Rebekka, seine Frau, ward schwanger.
22 Und die Kinder stießen sich miteinander in ihrem Leib. Da sprach sie: Wenn mir's so gehen soll, warum bin ich schwanger geworden? Und sie ging hin, den HERRN zu befragen.
23 Und der HERR sprach zu ihr: Zwei Völker sind in deinem Leibe, und zweierlei Volk wird sich scheiden aus deinem Leibe; und ein Volk wird dem andern überlegen sein, und der Ältere wird dem Jüngeren dienen.
24 Als nun die Zeit kam, dass sie gebären sollte, siehe, da waren Zwillinge in ihrem Leibe.
25 Der erste, der herauskam, war rötlich, ganz rau wie ein Fell, und sie nannten ihn Esau.
26 Danach kam heraus sein Bruder, der hielt mit seiner Hand die Ferse des Esau, und sie nannten ihn Jakob. Sechzig Jahre alt war Isaak, als sie geboren wurden.
27 Und als nun die Knaben groß wurden, wurde Esau ein Jäger und streifte auf dem Felde umher, Jakob aber ein gesitteter Mann und blieb bei den Zelten.
28 Und Isaak hatte Esau lieb und aß gern von seinem Wildbret; Rebekka aber hatte Jakob lieb.

Diese Mutterliebe verführte Rebekka (die wie auch ihre Schwiegermutter Sarah viele Jahre unfruchtbar blieb - ein Makel, beinahe ein Fluch in der damaligen Gesellschaft), ihren Lieblingssohn zu einem Betrug anzustiften: Jakob solle dem hungrigen Esau bei dessen Rückkehr von der Jagd sein Erstgeburtsrecht abkaufen, um ein Linsengericht!

29 Und Jakob kochte ein Gericht. Da kam Esau vom Feld und war müde
30 und sprach zu Jakob: Lass mich essen das rote Gericht; denn ich bin müde. Daher heißt er Edom.
31 Aber Jakob sprach: Verkaufe mir heute deine Erstgeburt.
32 Esau antwortete: Siehe, ich muss doch sterben; was soll mir da die Erstgeburt?
33 Jakob sprach: So schwöre mir zuvor. Und er schwor ihm und verkaufte so Jakob seine Erstgeburt.
34 Da gab ihm Jakob Brot und das Linsengericht, und er aß und trank und stand auf und ging davon. So verachtete Esau seine Erstgeburt.

Dieser erste Betrug Jakobs wird in dem Gemälde dargestellt. Der niederländische Maler Stomer hat ungefähr in der Zeit von Rembrandt gelebt, ist aber schon früh nach Sizilien gegangen, um dort in der Auseinandersetzung mit Caravaggio und seinem Lehrer Honthorst als Einzelkämpfer faszinierende Nachtstücke zu malen, die durch die
Lichtkontraste und die bedeutungsschwere Atmosphäre bestechen. SeineLieblingsfarben waren rot und gelb (oder gold) vor einem dunklen Hintergrund.
Das sehen wir auch in unserem Bild: Der modische lederne Jagdanzug von Esau ist natürlich rot (siehe Bibeltext), Esau trägt Bart und relativ wilde Haare unter dem seltsamen Kopfputz. Ihm gegenüber Jakob - ein bartloser blasser Jüngling mit gekämmten Haar: „gesittet“. Der goldene Philosophenumhang mit der metallischen Kette auf der Schulter ist allerdings ebenso albern wie der drapierte braune Vorhang im Hintergrund: bei Kleintiernomaden ist ein solches Ambiente schwer vorstellbar, da erwartet man ein schlichtes Zelt. Aber gerade diese Zwiespältigkeit gibt
dem Bild einen weiteren Reiz: Die Hände des Jakob mit den gepflegten Fingernägeln, ein Tischtuch mit nichttropfender Kerze, dazu diese Frau.

Rebekka ist nicht mehr jung, aber man sieht an ihren großen, tiefliegenden Augen und trotz der Falten, dass sie einmal eine Schönheit war. (Übrigens taucht dieses Modell auf verschiedenen Bildern sowohl von Stomer als auch von Honthorst und anderen zeitgleichen Malern auf.) Und nun wird das Ganze noch gehöht durch die schönste Darstellung eines Jagdhundes, die mir in Erinnerung ist. Ein seidiges, weiches Kurzhaarfell, kleine Pfoten auf der Tischkante und ein Blick! Er schaut Jakob an und sagt: das kannst Du doch nicht machen! Eigentlich gelten Hunde als Hüter der Ehe, hier aber als Hüter der Ehre:

Jakob und auch seine Mutter spielen falsch, Esau merkt es vielleicht nicht so deutlich, aber sein Hund. Jakob wird mit seiner Mutter Hilfe weiter betrügen: zur Erlangung des Segens von Isaak täuscht er den Vater. Dann muss er fliehen zu Laban, und da hat er beinahe seinen Meister gefunden, denn Laban betrügt ihn mit der Ehefrau: nicht die geliebte Rachel, sondern die „blöde“ Lea wird ihm in der Hochzeitsnacht untergeschoben. Also muss Jakob nochmal 7 Jahre dienen, bei der Trennung von Laban rächt er sich: er nimmt den besten Teil der Herde mit und die metallenen Hausgötter.

Alles dieses ist für Jakob irgendwann überstanden: im Kampf mit dem Engel (oder seinem besseren Ich?) obsiegt er und bekommt den Namen Israel, zur bleibenden Erinnerung aber bleibt ihm die ausgerenkte Hüfte, sodass er fortan humpelt! Erst danach kann es zu einer Aussöhnung mit Esau kommen.

Dr. Cornelia Gersch
Dr. Lore Gewehr

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